SoSe 2024
Diversity & Intersectionality: Theoretische Perspektiven und analytische Konzepte von Dr. Robel Afeworki Abay
Im Mittelpunkt des Seminars steht die These, dass eine intersektionaltätstheoretische Perspektive sich als besonders geeignet erweist, eine gewinnbringende Diskussion über den Umgang mit Differenz, Ungleichheit und Diversität in der Dominanzgesellschaft zu eröffnen. Eine kritisch-reflexive und herrschaftskritische Thematisierung von diskursiv hervorgebrachten und institutionalisierten Differenz- und Ungleichheitsverhältnissen wie z.B. Rassismus, Ableism, (Hetero)Sexismus und Homonationalismus ist insbesondere vor dem Hintergrund aktueller politischen Diskursverschiebung von großer Relevanz für die Selbstpositionierung sowie für Intersektionalitäts- und Diversitätsforschung, da die veränderten gesellschaftspolitischen Bedingungen auch fatale Einflüsse auf die praktische Arbeit mit den Betroffenen sowie für die wissenschaftliche Forschung sozialer Ungleichheitsverhältnisse haben.
Die Erörterungen ausgewählter Seminarlektüre erfolgen auf der Grundlage der theoretischen Ansätze von Diversity & Intersectionality, die einen herrschafts- und dominanzkritischen Zugang zu Kontexten und Modalitäten der Herstellung, Aktualisierung und Reproduktion patriarchal-heteronormativer Strukturen und sozialer Ungleichheitsverhältnisse ermöglichen:
- Intersektionalität: Zum einen werden wir uns mit den vielfältigen intersektionalen Identitäten, Zugehörigkeiten und Lebensrealitäten sowie mit symbolischen und politischen Repräsentationen marginalisierter Gruppen befassen. Anhand dieser theoretischen Auseinandersetzung mit Perspektiven auf Gesellschaft und Institutionen wie z.B. Soziale Arbeit, Schule oder Beratungsstelle wird danach gefragt, welche Herausforderungen die fortbestehenden heteronormativen Strukturen insbesondere für marginalisierte Gruppen wie BIPoC (Black, Indigenous and People of Color), be-hinderten und queeren Communities darstellen, die durch machtvollen Zuschreibungen als ,,die Anderen“ konstruiert und von einer gleichberechtigter Teilhabe an der Gesellschaft ausgegrenzt bzw. ausgeschlossen werden.
- Diversity: Zum anderen werden wir im Seminar über die fehlende Anerkennung und Wertschätzung gesellschaftlicher Vielfalt (Diversität) und die damit einhergehenden erschwerten politischen, sozialen und ökonomischen Teilhabe- und Verwirklichungschancen marginalisierter Communities in einer kapitalistisch organisierten Dominanzgesellschaft kritisch hinterfragt.
Auf dieser Basis werden Teilnehmende des Seminars zentrale Grundlagen der intersektionalen Ungleichheits- und Diversitätsforschung (Diversity & Intersectionality) kennenlernen, um theoretische Überlegungen mit der Praxis sinnvoll in Verbindung zu setzen.
Dieses Seminar gilt als Pflichtmodul für das Zertifikat „Intersektionalität und Diversity“.
Zur Lehrperson
Robel Afeworki Abay (Dr. phil.) ist Soziologe und derzeit Gastprofessor für partizipative Ansätze in den Sozial- und Gesundheitswissenschaften an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Zuvor war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München tätig. In der partizipativen Studie, die er im Rahmen seiner Dissertation an der Humboldt-Universität zu Berlin gemeinsam mit BIPoC mit Behinderungserfahrungen durchführte, befasste er sich mit intersektionalen Kolonialitäten von Rassismus und Ableismus. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Intersectional Disability Justice; Soziologie der Behinderung und sozialer Ungleichheit; Migrationssoziologie; Diversity und Intersektionalität; Rassismus und Ableismus; Disability Studies und Critical Race Theory (DisCrit); Postkoloniale und Dekoloniale Theorien; Climate und Social Justice sowie partizipative Forschung.
Female Blues von Dr. Risto Lenz
Der Blues ist die mythische „Ur-Musik“ Amerikas, dessen Blüten bis heute die Popkultur prägt. Seine historiographische Einordnung fand zu Zeiten des Folk Revivals der frühen 1960er Jahre erstmals ein weltweites Publikum. Das Authentizitätsdenken dieser Zeit entsprang einer männlich/weißen Expertensicht, die den sogenannten Folk Blues als eine maskuline Kultur der ländlichen Afroamerikaner verklärte. Denn ironischerweise war der erste Blues, der in den 1920ern erschien, eine weiblich dominierte Musikrichtung. Zur Zeit des Revivals wurde diese jedoch als Commercial Blues bezeichnet und dem „authentischen“ Folk Blues als „künstlich“ entgegengestellt. In diesem Seminar beschäftigen wir uns mit der Frage, warum schwarze Männlichkeit zu dem Authentizitätsmarker des Blues wurde und zum Ausschluss weiblicher Interpretinnen aus dem Diskurs führte. Außerdem sollen in einem intersektionalen Ansatz die Arbeiten weiblicher und schwarzer Revival-Akteur*innen untersucht werden, deren Interpretationen in diesem Prozess an den Rand gedrängt wurden.
Wir wollen an einem konkreten Beispiel – Female Blues – den gemeinsamen starken historiographischen Bezug sowie die generelle Verschränkung von Gender Studies und American Studies betonen und verdeutlichen, wie Wissensproduktion durch Machtverhältnisse geformt und definiert wird. Das Seminar will dazu anregen, eine größere Sensibilität für die Bedeutung von Geschlecht im Bereich des Blues zu erlangen – einem Musikstil, dessen Popularisierung in einem besonderen Spannungsfeld zwischen Populärkultur, Academia und sozialem Aktivismus entstand. Von zentraler Bedeutung ist hier das Konzept der Intersektionalität, welches – geprägt durch den Black Feminisim – ein gemeinsames Analyse-Tool der beiden Disziplinen Gender Studies und American Studies ist. Indem wir uns auf die Multidimensionalität gesellschaftlicher Herrschaftsprozesse zur Zeit des Folk Revivals fokussieren, können wir besser verstehen, wie Diskriminierungen und Chancenungleichheiten entlang von Klasse, Geschlecht/Sexualität, Ethnizität/Nationalität in Verschränkung miteinander zu verstehen sind. Auf diese Weise vernetzt das Seminar Theorie und Empirie und ermöglicht Inter- und Transdisziplinarität. Ziel ist es dadurch einen kritischen Blick zu entwickeln, wie Wissensproduktion in der Musik immer auch an Wissens- und damit Machtinstitutionen geknüpft ist, deren Aktivitäten, Produkte und epistemischen Konzepte durch Machtverhältnisse geformt und definiert werden. Deshalb wollen wir den Schwerpunkt auf die Orte legen, an denen während des Folkrevivals Wissen produziert wurde, um dadurch die Formen, die Systematisierung und die wissenschaftliche Klassifizierung des Wissens über den Blues historisch zu erforschen.
Zur Lehrperson
Dr. Risto Lenz ist Kulturwissenschaftler und Historiker im Bereich American Studies und Popmusikforschung. Er promovierte an der Universität Köln mit einer Arbeit zum amerikanischen Folk Music Revival (erschienen 2022 bei Peter Lang Publ.). Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Musikhistoriographie, Musik und Mobilität, Musik und Migration sowie Figurationsprozesse in der Popmusik. Aktuell forscht er zur Figur des Singer-Songwriters in Zeiten der Digitalität.
Perspektiven auf Geschlecht von Merle Marie Eckert
Dieses Seminar legt den Fokus auf die grundlegenden Konzepte von Gender und Queer und zielt darauf ab, ein fundiertes Verständnis dieser Themen zu vermitteln.
Über zwei Wochenenden hinweg werden wir eine breite Palette an Themen behandeln, beginnend mit einer einführenden Betrachtung feministischer Theorien zur Binärität der Geschlechter, Hetero- und Cisnormativität sowie struktureller Queerfeindlichkeit, bis hin zu einer kritischen Analyse von Männlichkeit. Die Lehrinhalte stützen sich auf theoretische Konzepte und Texte, die durch praktische Anwendungen und zugänglichere Literatur im Bereich Gender und Queer ergänzt werden. Von den bahnbrechenden Werken von Raewyn Connell, Sara Ahmed und Mike Laufenberg bis hin zu den einflussreichen Stimmen von Margarete Stokowski, Lydia Meyer und Emilia Roig – wir erkunden ein breites Spektrum an intersektionalen Perspektiven.
Vorkenntnisse sind nicht zwingend erforderlich, da wir gemeinsam durch einen Austausch auf Augenhöhe die verschiedenen Themenbereiche erarbeiten werden. Der Kurs wird hauptsächlich in deutscher Sprache stattfinden.
Zur Lehrperson
Merle Marie Eckert, M.A., studierte Gender & Queer Studies an der Universität zu Köln. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem im Bereich der Sexarbeit, kritischer Männlichkeit, Sexualpädagogik und Queer Theorie. Neben ihren akademischen Tätigkeiten arbeitet sie als Diversity Managerin & Designerin und engagiert sich ehrenamtlich in Kiel.