WiSe 2021/2022
Aktuelle Ansätze und Debatten der Genderforschung und Intersektionalität im Rahmen von Friedensförderungsprozessen von Dr. Rosario Figari Layús
Kooperation mit dem Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) / Studiengang Peace and Security Studies (MA):
Das Seminar beschäftigt sich mit den aktuellen Ansätzen und Debatten der Genderforschung und Intersektionalität im Kontext von Konfliktdynamiken und Friedensförderungsprozessen. Dafür werden die grundlegenden Konzepte von Gender und Intersektionalität im Rahmen der Friedens- und Konfliktforschung aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive dargestellt. Außerdem wird sich in diesem Seminar mit den wichtigsten internationalen Rechtsinstrumenten zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt sowie zur Inklusion von Frauen in Entscheidungsprozesse der Friedensförderung auseinandergesetzt. Das Seminar bietet aus einer intersektionalen Perspektive eine Analyse der geschlechtsspezifischen Gewalt in Konfliktzeiten sowie des Umgangs mit ihren Folgen und Erklärungsmustern in Post- Konflikt-Kontexten. So wird sich zeigen, dass bestimmte Formen geschlechtsspezifischer Gewalt stark kritisiert und in die Öffentlichkeit gebracht werden, andere aber unsichtbar bleiben, naturalisiert und sogar von großen Teilen der Bevölkerung legitimiert werden. Während des gesamten Kurses werden konkrete Fallstudien analysiert, um Bandbreite, Kluft und Widersprüche zwischen dem Kampf, den Errungenschaften und Erfolgen der Frauenbewegung hinsichtlich internationaler Normen einerseits und den Herausforderungen ihrer effektiven Umsetzung in Friedens- und Kriegszeiten andererseits zu veranschaulichen. Hierbei stellen sich eine Reihe von Fragen: Welche Rolle spielen Gender und Intersektionalität bei der Ausübung von Gewalt in bewaffneten Konflikten? Wie werden diese Gewalt und ihre Opfer in den sozialen Stereotypen von Frauen und Männern in bewaffneten Konflikten repräsentiert? Welche Rollen und Partizipationsansätze von bzw. für Frauen in friedensfördernden Kontexten gibt es? Welche Genderperspektiven beinhalten Mechanismen der Transitional Justice, um mit den Folgen von geschlechtsspezifischer Gewalt nach Diktaturen und bewaffneten Konflikten umzugehen? Beinhalten die Transitional-Justice-Instrumente bei ihre Suche nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung ausreichend intersektionale Perspektiven?
The Color of Sex von Dr. Michaela Wünsch
Um die wissenschafts- und kulturgeschichtliche Grundlage zu erarbeiten, auf dessen Hintergrund sich aktuelle Diskussionen um Race, Sex und Gender entfalten, wird im ersten Block den Prozessen nachgegangen, die Körper und Verhaltensweisen, die als „rassisch“, geschlechtlich und sexuell deviant markiert wurden, visuell und epistemologisch fassbar werden ließen. Der zweite Block konzentriert sich auf das Medium Film. Ausgehend von dem hashtag #oscarssowhite und #blacklivesmatter wird die Verwobenheit des US-amerikanischen Films mit Rassismus nachgezeichnet. Beispielhaft am Film „Birth of a Nation“ von 1915, der die Entstehung der US-amerikanischen Nation darzustellen beabsichtigt und dabei Whiteness privilegiert und Schwarze rassistisch abwertet und dem gleichnamigen Film von 2016, der die Geschichte der Sklaverei und den Widerstand dagegen nachzeichnet, werden filmwissenschaftliche Methoden wie Analyse der Narration und Ästhetik mit Rassismuskritik verbunden. In einem nächsten Block werden queere Gegenästhetiken vorgestellt, die die Brüchigkeit der Konstruktionen, wie sie im ersten Teil herausgearbeitet wurden, herausstellen. Auch hier wird die konstitutive Intersektionalität herausgestellt. Im letzten Block soll zum einen die Bedeutung der gesellschaftlichen Kategorien für die eigene Identitätsbildung herausgearbeitet werden und zum anderen die Bedeutung der Identität für die Theorieentwicklung am Beispiel der Psychoanalyse. Entgegen der häufig noch geläufigen Vorstellung, die Psychoanalyse sei männlich und europäisch weiß zentriert, sollen queere, schwarze und jüdische Positionen vorgestellt werden, die Subjekt, Geschlecht, Ethnizität und Sexualität zugleich dekonstruieren und entpathologisieren.
Die Methoden des Seminars sind interdisziplinär angelegt und umfassen Diskursanalyse, Wissenschaftsgeschichte, Filmanalyse, Kunstgeschichte, Kulturwissenschaft, Geschlechterforschung, Critical Race Studies und Psychoanalyse. Neben der Vermittlung von Theorieentwicklungen soll anhand aktueller Filmbeispiele und politischer Debatten die Verschränkung von Theorie und Praxis aufgezeigt werden. Der erste und letzte Block wird online unterrichtet, wegen des visuellen Materials wird eine intensive Wochenendphase(n) stattfinden. Die Studierenden sollten gute Englischkenntnisse besitzen.
Zur Lehrperson
Michaela Wünsch ist Kulturwissenschaftlerin, Psychoanalytikerin in eigener Praxis und Verlegerin bei b_books in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Critical Race Studies, Queer Theory, Psychoanalyse, Medienphilosophie, Serialität und Fernsehen. Zu den jüngsten Publikationen gehören „Differentielle Serialität“, in Fernsehwissenschaft und Serienforschung. Theorie, Geschichte und Gegenwart (post-)televisueller Serialität, hg. v. Dominik Maeder, Denis Newiak, Herbert Schwaab, Springer 2021; „Serialität und Intertextualität“. In: Handbuch Filmtheorie, hg. v. Bernhard Groß, Thomas Morsch. Springer 2021; „Teleanalyse – Medien der Übertragung“, in Übertragungen. Zur Politik der Beziehungen, hg. v. Peter Lenhart, Harald Strauß, Gereon Wulftange, Manuel Zahn, Parodos Verlag 2021.
Gender und Diversity in der Praxis. Strategien und Fallstricke im institutionellen und politischen Umgang mit Geschlecht und Vielfalt von Johanna Elle
Im Seminar werden wir uns gemeinsam dem institutionellen und politischen Umgang mit Gender und Diversität sowie seinen Fallstricken widmen.
Im ersten Teil des Seminars werden wir Grundlagen zu Gender und Diversity sowie Intersektionalität, Partizipation und Empowerment als analytische Werkzeuge vertiefend kennenlernen. In einem zweiten Schritt wird das Wissen aus dem ersten Teil konkret angewendet: Gemeinsam untersuchen wir anhand aktueller Beispiele, wie in Deutschland mit Geschlecht, Sexualität und Vielfalt umgegangen wird. Mithilfe von konkreten Fällen (beispielsweise der Debatte um gendergerechte Sprache) beschäftigen wir uns u.a. mit folgenden Fragen:
Wie sehen Strategien zu gleichberechtigter Teilhabe und ein sensibler Umgang mit Vielfalt aus? Wie wirken sie sich aus? Welche Rolle spielen Empowerment, Partizipation oder Powersharing hier? Welche Schwierigkeiten und Fallstricke können sich auftun? Was ist z.B. Femonationalismus oder Pink Washing? Welche Rolle spielen intersektionale Sicht- und Handlungsweisen? Wer wird durch spezifische Maßnahmen angesprochen, wer wird sichtbar, wer bekommt einen Zugang zur gesellschaftlichen Teilhabe? Welche Alltagspraktiken, welche aktivistischen Kämpfe finden (keinen) Eingang in institutionelle Strategien?
Zur Lehrperson
Johanna Elle ist promovierende Kulturanthropologin, die in der Hochschulehre sowie in der politischen Bildungsarbeit für QueerSchool e.V. in Hamburg tätig ist. Die Themen zu denen sie forscht und lehrt bewegen sich zwischen Gender, Flucht und Aufnahmepolitiken, Feminismus und Popkultur sowie Anti-Diskriminierung und Diversity. Zuletzt hat sie als Co-Autorin für Pro Asyl einen Schattenbericht „ Zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Bezug auf geflüchtete Frauen und Mädchen in Deutschland“ verfasst: https://www.proasyl.de/news/istanbul-konvention-umsetzen-schutz-vor-gewalt-auch-fuer-gefluechtete-frauen-und-maedchen/
Geschlecht im Recht: Juristisch nicht zu lösen? von Laura Jacobs
Das Recht gehört zu den grundlegenden Strukturmerkmalen der Gesellschaft. Es regelt beinahe den gesamten Alltag inkl. höchstpersönlicher und sensibler Lebensbereiche wie Geschlecht, Sexualität, Liebe, Familie, Karriere oder politische Mitbestimmung. Im Kurs wollen wir darüber diskutieren, welche Erwartungen das Recht dabei an Körperlichkeit und Begehren stellt. Während das Recht für die einen ein Garant für Gleichstellung ist, halten andere es für ein Instrument des Patriarchats. Wieder andere sehen das Recht als Terrain sozialer Kämpfe. Zentrales Anliegen des Kurses ist die Kenntnis eigener (subjektiver) Rechte und die Fähigkeit, diese zu mobilisieren.
Zu Beginn jeder Sitzung erarbeiten wir uns eine gemeinsame Diskussionsgrundlage. Ausgangspunkt kann ein Text(ausschnitt), ein Video(ausschnitt) oder ein Kurzvortrag sein. Der Kurs bezieht wissenschaftliche Quellen und Gerichtsentscheidungen ebenso wie popkulturelle Zeugnisse mit ein. Alle Sitzungen sind so strukturiert, dass ausreichend Zeit für Diskussion und Austausch besteht.
Der Kurs ist offen für alle Interessierten – mit oder ohne juristische Vorkenntnisse.
Zur Lehrperson
Laura Jacobs ist Juristin und schreibt an ihrer Dissertation zu zivilem Ungehorsam. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Grundlagen des Rechts an der Bucerius Law School und Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung. Zu ihren Forschungsinteressen gehören Legal Gender Studies, materialistische Rechtstheorie und Rechtsdidaktik.
Intersektionalität an der Diskursverschiebung um Flucht/Migration von Dr. Simone Borgstede
In diesem Seminar geht es um das Verständnis von Intersektionalität und Diversity. Beide Konzepte sind aus Diskussionen feministischer Theorie nicht mehr wegzudenken. Dabei wird Intersektionalität eher als Analyse-Konzept miteinander verflochtener sozialer Ungleichheiten, die zu diversen Ausgrenzungsmechanismen führen, betrachtet, während Diversity eher als anwendungsbezogen gilt (z.B. als Diversity-Management) und deshalb auch als herrschaftserhaltend in die Kritik gerät. Durch eine Vermittlung und kritische Diskussion der Theoriegeschichte soll der Einstieg in Möglichkeiten der Anwendung auf aktuelle Entwicklungen und Diskurse aufgezeigt werden.
Exemplarisch wird Intersektionalität an der Diskursverschiebung um Flucht/Migration nach der Kölner Silvesternacht 2015/16 diskutiert, in der der Willkommensdiskurs durch einen Kriminalisierungs- und Abschiebungsdiskurs abgelöst wurde – vermittelt über eine Sexismuskritik, die den Sexismus ‚den Anderen’/Muslimen/Geflüchteten zuschreibt und im Kern rassistische Stereotype wie das des Schwarzen Vergewaltigers transportiert. Die Opfer sexualisierter Gewalt wurden durchgängig als weiß und deutsch imaginiert – sexuelle Übergriffe auf geflüchtete Frauen in den Massenunterkünften wurden nicht zum Thema.
Die Gedichte von May Ayim und Semra Ertan geben gute Einstiegsmöglichkeiten in die Diskussion der Entwicklung antirassistischer Initiativen von Kanak Attack bis zur Black Lives Matter Bewegung. Weitere aktuelle Entwicklungen werden durchgängig in den Textdiskussionen nach Interesse der Studierenden analysiert.
Das Seminar ist als Lektürekurs angelegt. Die Seminardiskussionen werden eingeführt durch Referate der Teilnehmenden, die durch die Lehrende unterstützt werden. Es geht dabei neben theoretischen Texten auch um Gedichte und Literatur, die mit diesen Konzepten arbeiten. In die Kursdiskussionen werden zusätzlich Bilder, Filmspots, Zeitungsartikel und anderes Material einbezogen. Das Seminar fördert kritisches Lesen und Durchdringen der theoretischen Ansätze und Zuspitzung der Thesen für die Kursdiskussion. Die Studierenden haben die Möglichkeit, eigene Erfahrungen aus ihrem Alltag in Bezug auf Sexismus, Rassismus, Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, Klassenzugehörigkeit oder z.B. des Alters einzubringen und gemeinsam zu reflektieren und zu theoretisieren. Dabei werden die Konzepte der Intersektionalität und Diversity auf ihre Analysetauglichkeit hin untersucht.
Zur Lehrperson
Simone Beate Borgstede ist Soziologin und Historikerin. Sie organisiert Seminare zu Feminismus in postkolonialer Perspektive und Rassismus im Kontext von Flucht/Migration. Schwerpunkte ihrer Forschung sind Rassismus und soziale Bewegungen. Insbesondere interessiert sie sich dafür wie wir Rassismus, Sexismus und Klassismus und ihre Überschneidungen alltäglich überwinden können.
Simone lebt seit 39 Jahren in der St. Pauli Hafenstr. Sie wehrt sich mit anderen Nachbar:innen gegen die rassistischen Kontrollen in ihrer Nachbarschaft und engagiert sich zusammen mit geflüchteten und migrantischen Frauen für gegenseitigen Respekt und gleiche Rechte für alle.