WiSe 2023/2024
From Cybernetics to Cyborgs – Einführung in die Wissenschafts- und Technikforschung von Jannis Steinke
Es wird im Seminar zunächst darum gehen, die Science and Technology Studies (STS) am Beispiel von Katherine Hayles´ Aufarbeitung einer Geschichte der Kybernetik (Cybernetics) (systemisches Denken innerhalb von Technologieentwicklung) kennen zu lernen. Im Anschluss daran werden die Spezifika der feministischen STS herausgearbeitet, indem Donna Haraways hierfür wegweisende Schriften des Situierten Wissens und des Cyborg-Manifestes gemeinsam erarbeitet werden. Die Cyborg ist hier ein grenzverschiebender Hybrid aus Mensch und Maschine, jedoch auch ein Wesen, das die Frage nach der Trennbarkeit zwischen Technologie und Organismus radikal neu verhandelt. Diese unterschiedlichen Denk- und Herangehensweisen werden anhand zahlreicher Beispiele technologischer Innovationen (Chat GPT, autonome Waffensysteme, Crashtest Dummies etc.) nachvollzogen, veranschaulicht und gemeinsam diskutiert.
Wir bedanken uns beim ISA-Zentrum der UHH und beim NTA-Bereich der TUHH für die Finanzierung dieses Lehrauftrags.
Zur Lehrperson
Jannis Steinke, M.A., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungprojekt „Sociotechnical Practices of Objectivation“ an der TU Braunschweig und Promovend an der Heinrich-Heine Universität in Düsseldorf.
Jannis Steinke studierte Soziale Arbeit in Bochum und Köln. Zusätzlich qualifizierte er sein Wissen zu Theorien der Gender und Queer Studies und der dekolonialen Theorie an der Universität zu Köln. Seit April 2018 ist er Teil der Kompostistischen Internationale, einer Forschungsgruppe, die Donna Haraways Kritiken am Posthumanismus in Medien- und Kulturwissenschaften und Gender Studies einzuschreiben versucht. Jannis Steinke lehrt seit 2017 in den Gender und Queer Studies an verschiedenen Lehrstandorten Deutzschlands.
Er ist zudem Sprecher der AG DIG*IT*AL der Fachgesellschaft Geschlechterstudien, die queerfeministische Interventionen in digitale Technologien vornimmt.
Gender & Queer – eine Einführung in Geschlechter- und queere Theorien von Marvin Jansen
Dieses Grundlagenseminar wird zunächst einen Überblick über die drei Wellen der Frauenbewegung in Deutschland und die unterschiedlichen feministischen Strömungen verschaffen, um zu verstehen, wie sich geschlechtertheoretische Ansätze akademisiert und etabliert haben. Durch Textsequenzen u. a. von Judith Butler (1993), Ines Pohlkamp (2015) und Nina Degele (2005; 2019) erfolgt schließlich ein Einstieg in die unterschiedlichen geschlechter- und queertheoretischen Ansätze, die ebenfalls kultur-historisch eingeordnet werden. Daran anknüpfend werden unterschiedliche thematische Bereiche wie der Umgang mit Geschlecht und Normativität in der Forschung oder in den (sozialen) Medien (aus teils interdisziplinären Perspektiven) betrachtet. Diese thematischen Einblicke sollen anhand aktueller Beispiele diskutiert werden.
Ab der zweiten Seminarhälfte haben die Teilnehmenden die Möglichkeit ihre eigenen Interessen und Fachexpertisen mit in die Seminargestaltung einfließen zu lassen.
Zur Lehrperson
Marvin Jansen ist Erziehungs- und Bildungswissenschaftler und derzeit freier Doktorand an der Europa-Universität Flensburg im Arbeitsbereich der Empirischen Bildungsforschung. Seine Schwerpunkte sind Bildung und soziale Ungleichheit, queere Perspektiven auf Erziehung und Bildung sowie die qualitativ-rekonstruktive Sozialforschung. In seiner Dissertation erforscht er Herausforderungen und Bewältigungsprozesse in Paarbeziehungen schwuler Männer. Nebenbei hält er Lehrveranstaltungen und Vorträge zu Heteronormativität im Unterricht, heteronormativer (Medien-)Sozialisation und zu poststrukturalistischen und (queer-) feministischen Ansätzen in der Psychologie.
Intersektionalität im Kontext von Identität, Flucht/Migration und Othering-Prozessen von Dr. Simone Borgstede
Wir starten mit einer theoretischen Auseinandersetzung mit Intersektionalität als einem wesentlichen Konzept zum Verständnis sozialer Ungleichheiten in ihrem Zusammenwirken in der aktuellen feministischen Theoriebildung. Mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen analysieren wir die Herausbildung des Konstrukts von ‚Wir’ und ‚die Anderen’ in Antike und Aufklärung. Wir diskutieren soziologische und literarische Texte zu Identität und Migration und setzen uns mit der Bedeutung von Intersektionalität im Kontext von Othering-Prozessen auseinander. Hierbei geht es auch um Geschlechteridentitäten und sexuelle Orientierung. Wir untersuchen migrantischen Widerstand gegen rassistische Zuschreibungen in intersektionaler Perspektive und wie sich Geflüchtete aktuell selbst repräsentieren.
Das Seminar ist als Lektürekurs angelegt. Wir setzen uns aber auch mit Filmspots, Bildern und Musik auseinander. Die Seminardiskussionen werden eingeführt durch Referate der Teilnehmenden, die durch die Lehrende unterstützt werden. Das Seminar fördert kritisches Lesen und Durchdringen theoretischer Ansätze. Die Studierenden setzen sich mit Identitätsbildung in einer globalisierten Welt auseinander und haben die Möglichkeit, eigene Erfahrungen damit, zu den ‚Anderen’ gemacht zu werden aus ihrem Alltag einzubringen und gemeinsam zu reflektieren.
Ich begreife das Seminar als Ort an dem ein Instrumentarium erarbeitet wird, dass es den Teilnehmenden erlaubt die Herausbildung von Othering-Prozessen in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse, die Klassenzugehörigkeit wie die Konstruktion rassistischer Zuschreibungen und was das für Identität bedeutet intersektional zu analysieren und als historisch umkämpft zu verstehen.
Dieses Seminar gilt als Pflichtmodul für das Zertifikat „Intersektionalität und Diversity.“
Zur Lehrperson
Simone Beate Borgstede, PhD., ist Soziologin und Historikerin. Sie organisiert Seminare zu Intersektionalität, Feminismus in postkolonialer Perspektive und Rassismus im Kontext von Flucht/Migration. Schwerpunkte ihrer Forschung sind Rassismus und soziale Bewegungen. Insbesondere interessiert sie sich dafür wie wir Rassismus, Sexismus und Klassismus und ihre Überschneidungen alltäglich überwinden können.
Simone lebt seit 1982 in der St. Pauli Hafenstraße. Sie wehrt sich mit anderen Nachbar_innen gegen die rassistischen Kontrollen in ihrer Nachbarschaft und engagiert sich zusammen mit geflüchteten und migrantischen Frauen für gegenseitigen Respekt und gleiche Rechte für alle.
Mad Studies: Perspektiven erweitern, wechseln und ver_Rücken von Franziska Hille
Lucy Costa (2014) formuliert als ein Anliegen bzw. eine Praxis der Mad Studies, das Mikroskop umzudrehen, nicht mehr die Ver_Rückten, die als psychisch krank diagnostizierten Menschen, sondern die (vermeintlich) Normalen zu untersuchen1. Mad Studies sind aktivistische Forschung, die zu emanzipatorischen Veränderungen führen soll. Mad Studies handeln nicht paternalistisch für Andere, stattdessen forschen hier diejenigen, die zu Anderen gemacht werden – Ver_Rückte – selbst, bringen eigenes Wissen und eigene Erfahrungen in Forschung ein, mache diese zugänglich und zirkulierbar. Forschungsreflexivität heisst hier beispielsweise zu fragen, wer, warum und wie mit wem forscht, worüber geforscht, welchen Interessen die Forschung dient und weiteres. Ausgangspunkt des Seminars ist die Annahme, dass Mad Studies für die meisten Teilnehmer*innen unbekannt sind, bei näherer Auseinandersetzung sich jedoch vielfältige Verbindungen zu bereits vorhandenem theoretischem Wissen, methodischen Auseinandersetzungen und persönlichen Erfahrungen zeigen. Wissen wird als hergestellt und in Verbindung mit Macht gezeigt, ebenso verschiedene Möglichkeiten, sich mit Wissen auseinanderzusetzen. Positioniertes Forschen, Fragen nach Gründen dafür und Möglichkeiten der Umsetzung begleitet die Lehrveranstaltung ebenso.
Materialgrundlagen sind Inputs, Kleingruppenarbeiten, Powerpointpräsentationen, Videoaufzeichnung einer Podiumsdiskussion, Blogbeiträge, Interviews, theoretische Literatur, Audios, aktivistische und künstlerische Materialien.
Während ein Ziel ist, Mad Studies als weitere Critical Studies neben Gender-, Queer-, Critical Race-, Disability Studies und Auseinandersetzungen mit Klassismus zu zeigen und somit intersektionale Perspektiven zu erweitern, ist ein weiteres Ziel, Praxen des Otherings auch in Hinblick auf Madness zu entlarven und eigene Wahrnehmung und Analyseperspektiven machtkritisch antidiskriminierend zu ändern. Madness soll depathologisiert und auch feierbar werden. Zugleich wird Psychiatrie als gesellschaftliche Struktur erkennbar gemacht. Subjekte, Gesellschaft, Aktivismus und Akademie sollen als Beziehungsgeflechte wahrnehmbar und Ansatzpunkte für emanzipatorische Veränderungen erforscht werden. Die Studierenden werden aufgefordert und darin unterstützt, sich eigener Interessen im Kontext der Seminarinhalte und verbunden mit den Seminaranliegen der Produktion und Praxis emanzipatorischer Forschung bewusst zu werden und eigene Umsetzungen zu entwickeln.
Zur Lehrperson
Franziska Hille lebt in Berlin und promoviert an der TU Berlin am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung aus gesellschaftskritischen und -utopischen Perspektiven zu Ambivalenzen von Selbstfürsorge im Umgang mit ver_Rückten und ver_Rücktmachenden Zuständen. Sie hat einen Abschluss als Diplom-Soziologin und hat sich in ihrem Studium vor allem mit machtkritischen und antidiskriminierenden intersektionalen Zugängen des Zusammendenkens von Subjekt und Gesellschaft, Arbeiten von Michel Foucault, Kritischer Psychologie (marxistischer Subjektwissenschaft in der Psychologie) und Feministischer Standpunkttheorie beschäftigt. Diese Zugänge prägen auch ihr laufendes Promotionsprojekt und Mad Studies, User/Survivor Research und Disability Studies kommen als Zugänge und Verortungen hinzu.
Franziska Hille bringt Mad Studies über Lehraufträge an Hochschulen und Universitäten und beginnt, ihre Forschungsinhalte auch ausseruniversitär in Workhops zugänglich zu machen. Im Sommer 2023 gab es dazu ausgehend von ihrer Forschungsfrage einen Workshop zu „Selbstfürsorge im Umgang mit ver_Rückten und ver_Rücktmachtenden Zuständen: empowernd und emanzipatorisch oder neoliberales Vereinzelungsprogramm?“
Sex, Gender and Crime. Einführung in die kulturwissenschaftliche Kriminalitätsforschung von Manuel Bolz
Das Seminar beschäftigt sich mit den Fragen, wie Kriminalität, Verbrechen und Devianz in Geschichte und Gegenwart kulturwissenschaftlich, d.h. transdisziplinär, untersucht werden können, gerade auch vor dem Hintergrund der sogenannten ‚Dark Anthropology’. Diese hat es sich zur Aufgabe gemacht, Macht, Gewalt und Konflikte mit einem verstehenden Ansatz zu untersuchen und Problemfelder sowie gesellschaftliche Strukturen sichtbar, greifbar und analysierbar zu machen.
Dabei leiten uns folgende Arbeitsfragen: Welche Quellen können für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kriminalität herangezogen werden (z.B. Populärkultur, Gerichtsakten oder mediale Berichterstattungen), welche Fragen bezüglich Sexualität, Körper und Geschlechter können gestellt werden und wie sieht dies mit Bezug auf Hamburgs urbane Räume bei Tag und bei Nacht aus? Wie strukturieren geschlechtsspezifische Gefühle von (Un-)Sicherheit Wahrnehmungen, Erfahrungen und Erzählungen im Alltag? Welche spezifischen (vergeschlechtlichten) Infrastrukturen, Praktiken, Ökonomien, Imaginationen und „Figuren“ bringen diese aber auch hervor? Welche Bedeutungszuschreibungen erhält Kriminalität, wie wird Wissen ausgehandelt (u.a. Psychopathologisierungen) und wie wird sie in Lebenswelten und Wirklichkeiten sozial und kulturell konstruiert? Und wie werden Eigensinn, Widerständigkeit und soziale Ordnungen ausgedrückt, hervorgebracht und herausgefordert?
Wir bedanken uns beim ISA-Zentrum der UHH für die Finanzierung dieses Lehrauftrags.
Zur Lehrperson
Manuel Bolz, M.A., ist Kulturwissenschaftlicher/Kulturanthropologe. Er forscht und lehrt in Hamburg. Er arbeitete u.a. für die Universität Hamburg, das Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK), die Isa Lohmann-Siems-Stiftung, die Hamburger Behörde für Kultur und Medien (BKM), das Bezirksamt Harburg, die Hamburger Hochschule für Allgemeine Wissenschaften (HAW) sowie die Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Seine Forschungsinteressen liegen in der Ethnografie, Historischen Anthropologie, Stadt- und Raumforschung sowie der intersektionalen Erforschung von Körper, Sexualitäten und Geschlecht. Gegenwärtig erarbeitet er sich ein Forschungsprojekt zu Krisenerzählungen und sozio-materielle Transformationsprozesse des Vergnügungsviertels St. Pauli.