WiSe 2022/2023
Antisemitismus und Geschlecht von Randi Becker
Aktuelle Antisemitismusforschung widmet sich zunehmend auch intersektionalen Betrachtungen, die Antisemitismus in Verschränkungen mit Geschlecht in den Blick nehmen. Antisemitismus ist dabei nach Karin Stögner selbst eine intersektionale Ideologie, die immer auch mit Zuschreibungen und Vorstellungen von „Rasse“, Klasse und Geschlecht verbunden ist. Spezifisch den Verschränkungen im Hinblick auf Geschlecht geht das Seminar nach. Dabei werden zuerst Grundlagen der Antisemitismusforschung vermittelt (Block 1 „Grundlagen der Antisemitismusforschung“), die in Block 3 („Antisemitismus im Feminismus“) den Blick auf spezifisch feministische Formen des Antisemitismus ermöglichen. Block 2 („Verschränkungen von Antisemitismus und Sexismus“) gibt den TeilnehmerInnen die Möglichkeit, Antisemitismus in seinen Verschränkungen mit Sexismus und Geschlechterstereotypen zu begreifen. So werden im Seminar umfassend verschiedene Verschränkungen von Antisemitismus und Geschlecht, sowohl historisch als auch aktuell, in den Blick genommen und kritisiert.
Zur Lehrperson
Randi Becker studierte Sozialwissenschaften, Soziologie und politische Theorie in Gießen, Darmstadt und Frankfurt am Main. Sie ist Doktorandin der Soziologie an der Universität Passau und arbeitet als Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten. Hauptamtlich ist sie Dozentin der politischen Bildung an einem staatlichen Bildungszentrum. Sie schreibt, forscht und lehrt vor allem zu den Themen Antisemitismus, Sexismus und Rassismus sowie zu Geschlechterverhältnissen im Nationalsozialismus.
The Art of Failure / Die Kunst des Scheiterns von Karin Michalski
Welche Vorstellungen von Erfolg und anerkannter Wissensproduktion prägen unsere Arbeit und Projekte? Was bedeutet es, wenn ein Projekt angeblich gescheitert ist? So manche Ereignisse, die für Arbeitsprojekte und Prozesse nicht geplant waren, können diese schließlich prägen oder auf interessante Weise beeinflussen. Hier stellt sich auch die Frage nach dem, was wir unter Erfolg bzw. Scheitern verstehen und wie der Rahmen für diese Sichtweise angelegt ist. Jack Halberstam schlägt vor, Raum für das Unerwartete zu lassen und einen Modus des transformativen Denkens und kreativ Arbeitens, der sich in Bewegung befindet zwischen ‚high theory and low theory, high culture and low culture‘, der sich auch anderer als konventioneller Archive bedient und auf mehreren Ebenen gleichzeitig agiert, sei es z.B. auch durch Anleihen aus Pop-Kultur und Avantgarde-Performances.
„Failure sometimes offers more creative, cooperative, and surprising ways of being in the world, even as it forces us to face the dark side of life, love, and libido.” (Jack Halberstam) Ausgangspunkt dieses Seminars ist dabei auch die Analyse von sozialen Hierarchien, die durch Normen von Gender, Sexualität und „whiteness“ produziert werden.
Das Seminar wird sich mit Beispielen der Film-, Video- und Performance-Kunst beschäftigen und diese mit kulturwissenschaftlichen Texten in Verbindung setzen aus den Bereichen der queer und postcolonial/decolonial theory, in denen Momente des Scheiterns aufgegriffen und hinsichtlich ihres Potentials und ihrer unerwarteter Folgen durchgespielt werden. Nicht nur für wissenschaftliche, sondern auch für künstlerische Projekte stellt sich die Frage, welche teils produktiven Ausdrucksformen „Failure“ annehmen könnte.
Zur Lehrperson
Karin Michalski arbeitet als Künstlerin und Film- und Videokunstkuratorin in Berlin. Sie war mit ihren Film- und Videoarbeiten an zahlreichen Festivals und Ausstellungen beteiligt u.a. mit The Alphabet of Feeling Bad (2012), working on it (2008), Monika M. (2004), Pashke und Sofia (2003) und women videoletters – a second text on war and globalization (2004). 2016 gab sie die Künstler-Edition An Unhappy Archive (Edition Fink, Zürich) heraus und 2015 das Buch I is for Impasse. Affektive Queerverbindungen in Theorie_Aktivismus_Kunst (bbooks, Berlin), sowie 2011 das Fanzine FEELING BAD – queer pleasures, art & politics.
Black, Queer, African. Transnationale Literaturen als safe space für (Re-)Imagination, Vision und Kritik von Dr. Ricarda de Haas
Mit ihrer pointierten Aussage “Homosexuality is not Un–African, what is Un–African is homophobia” wendet sich die kenianische Filmemacherin Wanuri Kahiu gegen das Vorurteil, afrikanische Homosexualität(en) seien ein Effekt des Kolonialismus, und bezieht sich implizit auf Stimmen, die wie der südafrikanische Schriftsteller Zakes Mda Formen gleichgeschlechtlicher Liebe in Afrika bereits in der vorkolonialen Zeit als Teil afrikanischer Lebensrealität ansiedeln. Die Teilnahme Kahius Debütfilm „Rafiki“ am Filmfestival in Cannes und ihre erfolgreiche Klage gegen das Aufführungsverbot in Kenia zeugen von einem zunehmenden Interesse an Repräsentaitonen queerer Lebensformen. Nicht nur in Kenia, auch in Nigeria, Südafrika, Simbabwe u.a. werden vermehrt Werke produziert, die Homosexualität positiv und in großer Varianz darstellen. Für Sichtbarkeit von LGBT+ in Literatur, Theater, bildender Kunst und Film setzen sich auch transnationale und afrodiasporische Künstler*innen ein. Sie intervenieren einerseits in globale queere Diskurse, andererseits hinterfragen sie heteronormative Positionen afrikanischer Provenienz.
Im Seminar widmen wir uns zeitgenössischen erzählerischen, performativen und filmischen Werken, die queeren Alltag, alternative Identitätsentwürfe oder Verortung in der lokalen und globalen Community thematisieren, aber auch Erfahrungen von transition, Marginalisierung und Diskriminierung beschreiben.
Studierende wählen aus der Liste der Primärtexte Werke aus, die sie in Referaten ausführlich vorstellen möchten. Gruppenarbeit für Referate ist möglich, aber nicht Bedingung. Darüber hinaus werden zur Vorbereitung auf die jeweiligen Sitzungen (überwiegend englische) Leseproben, Filmausschnitte bzw. digitale Quellen bereit gestellt.
Zur Lehrperson
Ricarda de Haas promovierte an der Bayreuth International Graduate School for African Studies (BIGSAS) mit einer Arbeit zu Performance Poetry und Social Media im südlichen Afrika (Monographie 2018, Wissenschaftsverlag Trier). Sie unterrichtete Gender Studies am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Philipps-Universität Marburg. Von 2017-2020 war sie Univ.-Lektorin für Afrikanische Literatur am Institut für Afrikawissenschaften der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Performance Studies, Inter/Medialität in Afrikanischen Literaturen und Kulturen, Gender Studies sowie Postcolonial Studies. Ihr derzeitiges Forschungsprojekt untersucht Mediale Überschreitungen in Digitalen Literaturen und Kulturen Afrikas und der afrikanischen Diaspora.
Feministische Epistemologien des Südens von María Guadalupe Rivera Garay
Ist die Bedeutung von Feminismus für alle gleich? Wird er in anderen Kontexten anders interpretiert oder gibt es Besonderheiten je nach Kontext oder Position? Was heißt eigentlich Feminismus oder Feministin zu sein? Was bewegt uns Menschen, uns als Feminist:innen zu positionieren? Denn es stimmt zwar, dass der Feminismus eine globale soziale Bewegung ist, die sich für die Überwindung der Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern einsetzt und schon große Erfolge erzielt hat. Trotzdem wird der größte Teil der Bewegung meist im sog. Globalen Norden entwickelt, diskutiert, finanziert und propagiert. Aus diesem Grunde stellt sie sich oft als eine homogenisierende, eurozentrische und einseitige Bewegung dar, die vorrangig in städtischen, akademischen Bereichen, heterosexuellen Milieus und der Mittelschicht entsteht und agiert. Deswegen ist es von großer Bedeutung zu schauen, ob es andere Interpretationen gibt, in anderen Kontexten und wie er durch andere Akteure:innen diskutiert und analysiert wird.
Diese unterschiedlichen Fragen werden wir im Seminar diskutieren und anhand eines Fokus auf „Epistemologias del Sur“ analysieren, indem wir versuchen, Epistemologien des Südens besonders aus Lateinamerika zu diskutieren und diese neu oder anders zu denken, damit wir die Möglichkeit haben, Interpretationen zum Beispiel des Feminismus anders zu verstehen. Besondere Ansätze werden hier jene von dekolonialen Theoretiker:innen, Indigenen Feministinnen und Afrolateinamerikaner:innen sein, aber wir werden auch postkoloniale Feministinnen und Afrikanische Feministinnen wie Chimamanda Adichie oder Oyeronke Oyewumi in den Blick nehmen.
Zur Lehrperson
María Guadalupe Rivera Garay ist Hñähñu (ein indigenes Volk aus Zentralmexiko). Sie hat ihren Bachelor (Licenciatura) in Soziologie mit dem Schwerpunkt Bildung in Mexiko-Stadt studiert. In Deutschland hat sie ihren Titel als Diplom-Soziologin an der Universität Bielefeld erworben, mit den Schwerpunkten Geschlechterforschung, Entwicklungssoziologie und qualitative Methoden. Zurzeit schließt sie ihre Promotion an der Fakultät für Soziologie in Bielefeld ab. Sie arbeitet als Referentin für Globales Lernen, als Dozentin und macht auch Übersetzungsarbeit.
Ihre wissenschaftlichen Interessen liegen in der Forschung zu Migrationsprozessen von ethnischen Minoritäten und der Genderdimension, Transnationalität und Translokalität sowie auf sozialen Ungleicheiten in globalen Süden. Genderfragen und Feminismen im Kontext von Kolonialität und Dekolonialität sind ein weiterer wichtiger Forschungsbereich. Eine ihrer zentralen Interessen liegt in der Vermittlung und Analyse der Sozialtheorie Lateinamerikas, der Diversität, Intersektionalität, Subalternität und Alterität im Kontext von indigenen Gesellschaften. In diesem Kontext arbeitet sie zu Konzepten von Gemeinschaft, Wissen aus indigener Perspektive, Transfers und ihrer Einbettung im Rahmen globaler Prozesse wie Klimawandel und Feminismus sowie zu den theoretischen Ansätze indigener Intelektueller, sowohl von Wissenschaftler:innen als auch anderer Denker:innen.
Intersektionalität /Diversity im Kontext von Identität, Migration und Othering-Prozessen von Dr. Simone Borgstede
Wir starten mit einer theoretischen Auseinandersetzung zu Intersektionalität und Diversity, wesentlichen Konzepten zum Verständnis sozialer Ungleichheiten in ihrem Zusammenwirken in der aktuellen feministischen Theoriebildung. Mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen analysieren wir die Herausbildung des Konstrukts von ‚Wir’ und ‚die Anderen’ in Antike und Aufklärung. Wir diskutieren soziologische und literarische Texte zu Identität und Migration und setzen uns mit der Bedeutung von Intersektionalität und Diversity im Kontext von Othering-Prozessen auseinander. Wir reflektieren was passiert, wenn wir von Identitäten ausgehen, die sich als Prozess entwickeln, nicht immer widerspruchsfrei; Identitäten, die sich überlagern und so neue Ausgangsorte schaffen. Wir untersuchen wie diese Konzepte sich zum Verständnis migrantischen Widerstands eignen und in Bezug darauf, wie sich Geflüchtete aktuell selbst repräsentieren.
Das Seminar ist als Lektürekurs angelegt. Die Seminardiskussionen werden eingeführt durch Referate der Teilnehmenden, die durch die Lehrende unterstützt werden. Das Seminar fördert kritisches Lesen und Durchdringen theoretischer Ansätze. Die Studierenden setzen sich mit Identitätsbildung in einer globalisierten Welt auseinander und haben die Möglichkeit, eigene Erfahrungen damit, zu den ‚Anderen’ gemacht zu werden aus ihrem Alltag einzubringen und gemeinsam zu reflektieren.
Ich begreife das Seminar als Ort an dem ein Instrumentarium erarbeitet wird, dass es den Teilnehmenden erlaubt die Herausbildung von Othering-Prozessen in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse, die Klassenzugehörigkeit wie die Konstruktion rassistischer Zuschreibungen und was das für Identität bedeutet intersektional zu analysieren und als historisch umkämpft zu verstehen.
Zur Lehrperson
Simone Beate Borgstede ist Soziologin und Historikerin. Sie organisiert Seminare zu Feminismus in postkolonialer Perspektive und Rassismus im Kontext von Flucht/Migration. Schwerpunkte ihrer Forschung sind Rassismus und soziale Bewegungen. Insbesondere interessiert sie sich dafür wie wir Rassismus, Sexismus und Klassismus und ihre Überschneidungen alltäglich überwinden können.
Simone lebt seit 39 Jahren in der St. Pauli Hafenstr. Sie wehrt sich mit anderen Nachbar:innen gegen die rassistischen Kontrollen in ihrer Nachbarschaft und engagiert sich zusammen mit geflüchteten und migrantischen Frauen für gegenseitigen Respekt und gleiche Rechte für alle.