SoSe 2021
Dekonstruktive Körperpraktiken in der zeitgenössischen Kunst von Tonia Andresen und Marlene Mannsfeld
Im Seminar wird anhand unterschiedlicher Theorien (Queer Theory, Disability Studies) verdeutlicht, dass es sich beim Körper um ein soziales/kulturelles Phänomen handelt, in dem sich auf spezifische Art und Weisen Machtstrukturen materialisieren. Disziplinierungen, die mit Subjektivierungsprozessen einhergehen, erfolgen immer im und durch den Körper. Anschließend werden Vorschläge zum Aufbrechen dieser hegemonialen Machttechniken gemacht und Wege aus Exklusionsprozessen aufgezeigt. Die künstlerischen Beispiele verhandeln dabei, wie Normalitätsvorstellungen und Normierungsweisen des Körpers ästhetisch gebrochen, widerständig angeeignet und produktiv gemacht werden können. Das Heranziehen von Kunstwerken ermöglicht es, Theorien anhand konkreter Beispiele zu diskutieren. Wie ist es um die Relation von Text und zu analysierendem Kunstgeschehen bestellt? Inwiefern alteriert die künstlerische Produktion theoretische Zugänge und/oder erweitert diese? Welche Körpernarrative werden verhandelt und welche bleiben vielleicht auch unsichtbar? [Wie] Lässt sich ein Körper fernab von Zu- und Einschreibungen denken? Das Seminar spannt dabei einen Bogen von feministischen Auseinandersetzungen seit den 1960er Jahre bis hin zu queeren, cyberfeministischen, postpornographischen und crip-aktivistischen Praxen. Ziel ist, den Seminarteilnehmer*innen einen Überblick über die Debatten zu ermöglichen und mithilfe der Erweiterung um künstlerische Beispiele konkrete Ansätze und subversive Gegenstrategien zur Diskussion zu stellen.
Zu den Lehrpersonen
Tonia Andresen ist Kunstwissenschaftlerin und schreibt an ihrer Dissertation zu globaler Arbeit in der zeitgenössischen Kunst. Aktuell ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der internationalen Forschungsgruppe „SVAC – Sexual Violence in Armed Conflict“ der Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur. Zu ihren Themenschwerpunkten gehören zeitgenössische künstlerische Praxen, die globalen Ungleichheiten, Arbeitsverhältnisse sowie Geschlecht und die damit zusammenhängenden Zuschreibungen thematisieren. 2018 hat sie in Zusammenarbeit mit Marlene Mannsfeld die Veranstaltungsreihe „Inter_Sections: Mapping queer*feminist art practices“, zu der auch ein Sammelband erschienen ist (2019), organisiert. 2019 kuratierte sie ebenfalls in Zusammenarbeit mit Marlene Mannsfeld die Ausstellung „Finding comfort in Materiality“ an der HFBK in Hamburg.
Marlene Mannsfeld ist Kunsthistorikerin, ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf zeitgenössischer Kunst in Verknüpfung mit feministischen, queeren und postkolonialen Theorien. In ihrer Abschlussarbeit im Masterstudiengang Kunstgeschichte an der Universität Hamburg analysiert sie Prothesen und Körpernormen in der zeitgenössischen Kunst unter Einbeziehung der Disability Studies. Sie organisiert Kunstprojekte, darunter gemeinsam mit Tonia Andresen die Reihe Inter_Sections. Mapping queer*feminist art practices und die Ausstellung PAT PAT PAT. finding comfort in materiality. Zuvor Bachelorstudium der Kunstgeschichte und Islamwissenschaft in Kiel und Graz sowie Berufstätigkeit in den Bereichen Marketing, Öffentlichkeitsarbeit und Administration in touristischen Unternehmen und im Kulturbereich.
Intersektionalität und Diversity: Herrschaftskritische Konzepte zur Analyse sozialer Ungleichheitsverhältnisse von Robel Afeworki Abay
Im Mittelpunkt des Seminars steht die These, dass eine intersektionalitätstheoretische Perspektive sich als besonders geeignet erweist, eine gewinnbringende Diskussion über den Umgang mit Differenz, Ungleichheit und Diversität in der Dominanzgesellschaft zu eröffnen. Ausgehend von einer kritisch-reflexiven und herrschaftskritischen Thematisierung von diskursiv hervorgebrachten und institutionalisierten Differenz- und Ungleichheitsverhältnissen werden folgende Themenkomplexe während des Seminars bearbeitet:
1. Diversity: Zum einen werden die fehlende Anerkennung und Wertschätzung gesellschaftlicher Vielfalt in einer kapitalistisch organisierten Dominanzgesellschaft und die damit einhergehenden erschwerten politischen, sozialen und ökonomischen Teilhabe- und Verwirklichungschancen von Black, Indigenous and People of Color (BIPoC), behinderten und queeren Communities kritisch hinterfragt, und
2. Intersectionality: Zum anderen werden wir uns mit den vielfältigen intersektionalen Identitäten, Zugehörigkeiten und Lebensrealitäten sowie mit symbolischen und politischen Repräsentationen marginalisierter Gruppen befassen. Anhand dieser theoretischen Auseinandersetzung mit Perspektiven auf Gesellschaft und Institutionen wie z.B. Soziale Arbeit oder Schule wird danach gefragt, welche Herausforderungen die fortbestehenden heteronormativen Strukturen insbesondere für marginalisierte Gruppen wie BIPoC mit Behinderungserfahrungen darstellen, die durch rassistische Zuschreibungen als ,,Migrationsandere“ und ableistisch codierte Differenz als ,,behindert“ konstruiert werden.
Zur Lehrperson
Robel Afeworki Abay positioniert sich als afro-deutscher und queer-feministischer Aktivist. Zurzeit promoviert er am Institut für Rehabilitationswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Zuvor studierte er Soziologie und Politikwissenschaften an der Addis Ababa University, Äthiopien und Cardiff University, Wales, UK sowie Soziale Arbeit an der Universität Kassel. Seit einigen Jahren beschäftigt er sich wissenschaftlich und politisch-aktivistisch mit den Themen Rassismus- und Herrschaftskritik; Intersektionalitäts- und Diversitätsforschung; Postkoloniale und Dekoloniale Perspektiven; Diskriminierungssensible Bildungsarbeit; Partizipative Forschung sowie Community, Ableism und Disability Studies.
Ressentiments. Interdisziplinäre sozialwissenschaftliche Forschungen zu Antisemitismus, Rassismus & autoritäre Politik von Florian Hessel
Im Seminar werden Formen rassistisch, antisemitisch, antifeministisch und anders legitimierter Gewalt gegen Menschen in Wort und Tat thematisiert.
Ressentiments und Vorurteile gehören zu den Grundbeständen moderner, diverser und heterogener Gesellschaften und zu ihren aktuellsten und drängendsten Problemen: Sie legitimieren Ablehnung, Diskriminierung, Ausgrenzung – Gewalt in Wort und Tat. Angetrieben insbesondere durch die von Rassismus, Antisemitismus und autoritärer Politik ausgehende Gewalt, bemühen sich Sozialwissenschaftler*innen seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit verschiedensten empirischen und theoretischen Ansätzen um ein differenziertes Verständnis dieser Phänomene: Sind Ressentiments in erster Linie gesellschaftlich oder psychologisch begründet? Beziehen sie sich vor allem auf bestimmte Gruppen bzw. Gruppenkonflikte oder sind sie kognitiv strukturiert?
Anhand wichtiger Ansätze und Studien der Soziologie und der Sozialpsychologie, der Geschichtswissenschaft, der Psychoanalyse und der empirischen Sozialforschung wird das Seminar in die Entstehung, Entwicklung und Verschränkung, die (politische) Funktion und mögliche Formen insbesondere von Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus sowie in deren wissenschaftliche Erforschung und pädagogische Prävention einführen.
Zur Lehrperson
Florian Hessel ist Sozialwissenschaftler und lebt in Hamburg. Schwerpunkte von Forschung, Lehre und Publikation liegen in den Bereichen Politische Psychologie, Wissenschaftssoziologie und kritische Gesellschaftstheorie. Er unterrichtet als Lehrbeauftragter Sozialtheorie und Sozialpsychologie, u.a. an der Ruhr-Universität Bochum, und ist als freier Referent und wissenschaftlicher Berater in der politischen Bildung und Antisemitismusprävention tätig. Er ist Gründungsmitglied von Bagrut e.V. Verein zur Förderung demokratischen Bewusstseins.
Weiteres zu Biografie und Publikationen: https://www.sowi.rub.de/soztheo/team/hessel.html.de
Weißsein im Fokus. Die Macht weißer (Frauen) von Dagmar Weber
Welche Rolle spielen weiße Menschen individuell und strukturell in unserer rassistisch strukturierten Gesellschaft? In welcher Hinsicht kämpfen weiße Frauen darum, als Individuum wahrgenommen zu werden? Was beschreibt die Trope des privilegierten Typs einer „typischen Karen“? Wie kann Situationen aus intersektionaler Perspektive begegnet werden, in denen unterschiedliche Diskriminierungsformen zusammenwirken? Wie können Solidaritäten im Kampf gegen Unterdrückung intersektional gestaltet werden? Mit diesen und weiteren Fragen wollen wir uns im Seminar beschäftigen.
Mit diesem Seminar soll ein Einblick in die Wirkungsweisen, Privilegien und Funktionen von weißsein gegeben werden. Weißsein und weiße Privilegien werden in Rassismusforschung, politischer Bildung und der Debatte um gesellschaftliche rassistische Verhältnisse zunehmend thematisiert. Der gesellschaftliche und politische Diskurs genauso wie die Betrachtung des weißen Feminismus machen deutlich, dass weißsein insbesondere aus intersektional-feministischer Perspektive der differenzierenden Aufmerksamkeit bedarf.
Im Seminar werden wir ausgehend von einem Perspektivwechsel nicht Rassismus und die Konstruktion der sog. „Anderen“, sondern weißsein als Täterschaftsstruktur und das weiße Individuum als (unbewusst) rassistisch handelnd fokussieren. Es werden Kontroll- und Herrschaftsfunktionen analysiert, die im weißsein hergestellt werden. Hierdurch wird weißsein als rassistische und machtvolle Struktur in den Fokus gestellt. Weiter werden wir aus postkolonialer, intersektionaler Perspektive konkrete Fallbeispiele, aktuelle Diskurse und Themenkomplexe diskutieren, in denen unterschiedliche Diskriminierungsformen zusammenkommen. Ebenfalls werden Fragen nach gelingenden Solidaritäten diskutiert.
Ziel des Seminares ist es, (Selbst-)Reflexion und interaktiven Austausch im Kontext feministischer Auseinandersetzungen anzuregen und Impulse zum kritischen Hinterfragen gesellschaftlicher Machtstrukturen, Privilegien und tagesaktueller Debatten sowie mehrheitsgesellschaftlicher Narrative zu geben.